Kultur ist ein großes Wort. Und oft bleibt es genau das: eine Ansammlung wohlklingender Aussagen in Leitbildern, Broschüren oder auf bunten PowerPoint-Folien. Vision, Mission, Werte – alles gut gemeint, aber nicht zwingend wirksam. Denn Kultur entsteht nicht durch das, was Unternehmen über sich sagen. Kultur ist das, was passiert, wenn keiner hinschaut. Was spürbar wird in Besprechungen, bei Entscheidungen, im Umgang mit Fehlern. Sie ist das Ergebnis dessen, was Menschen tagtäglich erleben. Und genau deshalb kann sie so kraftvoll sein – oder so bremsend.
Wer Kultur entwickeln will, muss sie beobachten, erleben und aushalten können. Kultur ist nicht einheitlich. Sie ist kontextabhängig, vielschichtig, manchmal widersprüchlich. Was in einem Team als „offene Feedbackkultur“ gilt, wirkt in einem anderen als Konfrontation. Ein D-Typ (dominant) bewertet Direktheit anders als ein G-Typ (gewissenhaft oder sicherheitsorientiert). Tools wie LAB-Profile helfen, diese Unterschiede nicht nur zu erkennen, sondern auch konstruktiv zu nutzen. Denn Kultur ist nicht die Summe aller Werte, sondern das Wechselspiel aus Menschen, Kontexten und Situationen.
Viele Organisationen fragen sich: Wo fangen wir an? Müssen wir die aktuelle Kultur zuerst benennen? Oder dürfen wir direkt mit dem „Wunschbild“ starten? Beides ist möglich – aber nicht ohne Risiko. Wer die Ist-Kultur ignoriert, riskiert Widerstände. Wer zu lange analysiert, verliert Energie. Entscheidend ist, dass der Prozess sichtbar macht, was bisher unsichtbar war: die unausgesprochenen Spielregeln, die bewussten und unbewussten Rituale, die Haltung hinter den Handlungen.
Besonders herausfordernd wird es, wenn zwei Kulturen aufeinandertreffen – etwa durch eine Fusion oder einen Unternehmenskauf. Was auf dem Papier wie ein strategischer Schritt aussieht, wird kulturell oft zum Blindflug. Unterschiedliche Kommunikationsstile, Entscheidungsprozesse oder Vertrauensdefinitionen können Zusammenarbeit blockieren. Hier braucht es nicht nur kulturelle Sensibilität, sondern auch klare Verantwortlichkeiten. Kulturarbeit ist kein Nebenprojekt. Sie braucht Rollen, die begleiten, beobachten, übersetzen. Und sie braucht Menschen, die bereit sind, sich selbst mit ins Spiel zu bringen.
Kulturarbeit ist nicht nur Chefsache. Sie ist Beziehungssache. Und sie verlangt Kompetenzen, die in klassischen Organigrammen selten auftauchen: Zuhören können. Unterschiedlichkeit aushalten. Spannungen ansprechen. Muster erkennen. Entscheidungen erklärbar machen. All das ist kein „Nice to have“, sondern zentrale Voraussetzung für Wandel, Innovation und Zusammenarbeit.
Das ADM-Institut begleitet Kulturentwicklungsprozesse als kritischer Sparringspartner. Mit einem systemischen Blick, der nicht sofort optimiert, sondern zuerst versteht. Mit Methoden, die Beteiligung ermöglichen, statt Überzeugung zu verordnen. Und mit Impulsen, die aus Haltung Handlung machen.
Ein Beispiel: In der internationalen Initiative youact! global wurden kulturelle Unterschiede in Serviceorganisationen nicht überdeckt, sondern bewusst in den Dialog gebracht. Techniker, Führungskräfte und Kunden kamen in reflektierte Räume – mit greifbaren Wirkungen. Die Kulturveränderung war kein abstraktes Programm, sondern ein erlebbarer Prozess.
Kultur ist immer da. Sie lässt sich nicht ein- oder ausschalten. Aber sie lässt sich gestalten – wenn wir sie ernst nehmen. Wenn wir sie nicht als kosmetische Ergänzung, sondern als strategische Kraftquelle begreifen. Das erfordert Mut. Es braucht Spiegel. Und es braucht Beziehung. Denn Kultur ist das, was wirkt – ob wir wollen oder nicht.
Tipp: Hören Sie die ausführliche Audio Edition zu diesem Thema
Die Inhalte dieses Artikels sind Teil der 28-minütigen Audio Edition „Kultur – die unterschätzte Kraftquelle“. Darin vertiefen Ulrike und Andreas Dolle zentrale Gedanken und geben Impulse für den Umgang mit Kultur im Unternehmensalltag.