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16 Juni
16. Juni 2025
Führung ohne Krone – Autonomie als Schlüssel zur Wirksamkeit

Führung ohne Krone – Autonomie als Schlüssel zur Wirksamkeit

Bilder, die wirken – und was sie im Inneren auslösen

Es sind oft Bilder, die unsere Aufmerksamkeit schärfen, unsere Haltung herausfordern – und manchmal sogar unser Selbstverständnis erschüttern. In diesen Wochen ist es ein Bild, das in seiner Klarheit kaum deutlicher sein könnte: Eine Menschenmenge formt einen markanten Schriftzug, sichtbar, gemeinschaftlich organisiert, mit einem deutlichen Signal. Kein Kommentar, kein Ton, keine Erklärung – nur eine Botschaft, die sich in das kollektive Bewusstsein einprägt.

Was genau gemeint ist, lässt Raum für Interpretation. Und doch scheint die emotionale Wirkung eindeutig: Es geht um das Bedürfnis, nicht dominiert zu werden. Um eine Absage an Machtzentrierung, vielleicht auch um ein neues Verhältnis zu Verantwortung und Selbstbestimmung. Das Bild wirkt politisch, ist aber zugleich zutiefst kulturell. Und damit betrifft es auch die Arbeitswelt.

Gerade in Organisationen, in denen Führungskräfte nicht an der Spitze, sondern mittendrin agieren – zwischen Strategie und Umsetzung, zwischen Geschäftsführung und Teams – stellen sich ähnliche Fragen:

Wie viel Kontrolle ist sinnvoll? Wie viel Verantwortung lässt sich abgeben, ohne die Orientierung zu verlieren? Und was bedeutet es, wenn Mitarbeitende zunehmend selbstbewusst Autonomie einfordern?

Für Führungskräfte im mittleren Management ist das kein theoretisches Gedankenspiel. Es ist Alltag. Sie erleben die Spannung zwischen Eigenverantwortung und Führungspflicht, zwischen Vertrauen und Steuerungsdruck. Der Wunsch nach „Führung ohne Krone“ wird in vielen Teams laut – nicht als Revolte, sondern als Ruf nach Augenhöhe und Wirksamkeit.

Dieses Spannungsfeld ist kein Zeichen von Schwäche. Es ist ein Ausdruck einer neuen Führungsrealität. Und wer bereit ist, diese Realität anzuerkennen, schafft die Grundlage für eine Arbeitskultur, in der nicht Macht, sondern Wirkung zählt.

Das Ende der Befehlskette – wie Führung sich entmachtet und erneuert

Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Führungslogik vieler Organisationen klar und stabil: oben wird gedacht, unten wird gemacht. Entscheidungen flossen in einer vertikalen Kette von oben nach unten, Verantwortlichkeiten wurden über Titel, Stellenbeschreibungen und Abteilungsgrenzen geregelt. Dieses Modell versprach Effizienz, Orientierung und Kontrolle – und es passte gut in eine Welt, in der Märkte berechenbarer waren und Veränderung sich in klaren Zyklen vollzog.

Doch mit der zunehmenden Dynamik und Komplexität der heutigen Arbeitswelt beginnt dieses Modell zu bröckeln. Technologischer Wandel, hybride Arbeitsformen, permanente Veränderung im Kundenverhalten – all das verlangt nach Reaktionsgeschwindigkeit, Vernetzung und situativem Handeln. Starre Befehlsketten werden dabei schnell zum Engpass.

Gerade im mittleren Management wird diese Veränderung zuerst spürbar. Die klassische Rolle als „verlängerter Arm der Geschäftsleitung“ verliert an Wirksamkeit. Statt Anweisungen weiterzugeben, geht es heute darum, Orientierung zu geben, Spannungsfelder zu moderieren und Verantwortung dorthin zu lenken, wo Fachwissen und Entscheidungsnähe sitzen – oft direkt im Team.

Dieser Wandel ist nicht immer bequem. Denn er fordert ein Umdenken: Führung wird weniger über Titel oder Status definiert, sondern über Einfluss, Vertrauen und Kontextgestaltung. Wer Wirkung erzielen will, braucht weniger Macht – und mehr Haltung.

Viele Führungskräfte erleben dabei einen scheinbaren Kontrollverlust. Doch wer bereit ist, Führung als Funktion und nicht als Position zu denken, gewinnt neue Spielräume: für Dialog, für Innovation, für echte Verantwortungsteilung.

Das bedeutet nicht weniger Führung – im Gegenteil. Es bedeutet, sie bewusst anders zu gestalten: dialogischer, flexibler, wirksamer.

Autonomie wirkt – aber nicht beliebig

Der Ruf nach mehr Selbstverantwortung ist in vielen Organisationen deutlich hörbar. Mitarbeitende wünschen sich Entscheidungsfreiräume, Gestaltungsspielraum und Vertrauen. Doch was auf den ersten Blick nach einem Kulturwandel klingt, berührt in der Tiefe fundamentale Fragen: Wann fördert Autonomie wirklich Leistung? Wo stößt sie an Grenzen? Und wie können Führungskräfte im mittleren Management diesen Balanceakt gestalten?

Ein Blick in die Motivationsforschung liefert Orientierung. Die Selbstbestimmungstheorie der Psychologen Deci und Ryan benennt drei Grundbedürfnisse, die menschliches Verhalten antreiben: Autonomie, Kompetenzerleben und soziale Eingebundenheit. Werden diese erfüllt, steigt die intrinsische Motivation – und mit ihr die Bereitschaft zur Eigenverantwortung und aktiven Gestaltung.

Für die Arbeitswelt bedeutet das: Autonomie ist kein nettes Add-on, sondern ein zentraler Hebel für Engagement und Qualität. Studien zeigen, dass Mitarbeitende, die Entscheidungsfreiheit erleben, nicht nur zufriedener sind – sie arbeiten effizienter, kreativer und fühlen sich dem Unternehmen stärker verbunden.

Doch Autonomie ist kein Freifahrtschein. Sie braucht Rahmen, Orientierung und Reife. Wer Verantwortung übernehmen soll, muss wissen, wofür – und woran Erfolg gemessen wird. Ohne klare Erwartungen, Feedbackstrukturen und gemeinsame Spielregeln droht sonst genau das, wovor sich viele Führungskräfte fürchten: Unklarheit, Inkonsistenz, Rückzug.

Gerade das mittlere Management steht hier vor einer anspruchsvollen Aufgabe: Es muss Räume öffnen, ohne Halt aufzugeben. Es muss ermöglichen, ohne sich zu entziehen. Und es muss aushalten, dass Verantwortung sich manchmal erst entwickelt – nicht auf Zuruf, sondern durch Erfahrung.

Autonomie wirkt – wenn sie nicht als Beliebigkeit verstanden wird, sondern als bewusst gestalteter Handlungsraum, in dem Menschen wachsen und Wirkung entfalten dürfen.

Führung als Kontext-Architektur

Wenn klassische Führung darin bestand, Entscheidungen zu treffen und Kontrolle auszuüben, dann besteht moderne Führung zunehmend darin, Kontexte zu gestalten, in denen andere handlungsfähig werden. Dieser Perspektivwechsel stellt besonders das mittlere Management vor eine neue Herausforderung – und gleichzeitig vor eine große Chance.

Denn gerade in dieser Position – zwischen strategischer Vorgabe und operativer Realität – besteht die Möglichkeit, Wirkung nicht durch Präsenz, sondern durch Struktur zu entfalten. Führung wird dabei zur Architekturarbeit: Sie schafft Bedingungen, in denen Orientierung, Zusammenarbeit und Verantwortung möglich werden. Dazu gehören drei zentrale Aufgaben:

  1. Transparenz schaffenWofür arbeiten wir? Welche Ziele sind priorisiert? Welche Informationen brauchen die Teams, um selbstständig zu entscheiden? Führungskräfte, die regelmäßig den Kontext erklären und Erwartungen klären, verhindern unnötige Rückfragen und fördern Eigenverantwortung.
  2. Vertrauen ermöglichenVertrauen entsteht nicht durch Absicht, sondern durch verlässliches Verhalten. Wer Verantwortung überträgt, muss loslassen können – und gleichzeitig präsent bleiben. Es geht nicht um Kontrolle, sondern um Rückkopplung, Interesse und verlässliche Unterstützung.
  3. Feedback als Betriebssystem etablierenTeams, die regelmäßig Rückmeldung erhalten – nicht nur bei Fehlern, sondern auch im Fortschritt – entwickeln eine deutlich höhere Steuerungsfähigkeit. Führungskräfte, die Feedback nicht als Kontrolle, sondern als Orientierung verstehen, fördern die Selbstlernkompetenz ihrer Mitarbeitenden.

All das braucht keine spektakulären Gesten. Vieles geschieht in der täglichen Abstimmung, in der Art, wie Meetings geführt, Ziele formuliert oder Konflikte angesprochen werden.

Moderne Führung zeigt sich nicht in Sichtbarkeit, sondern in Wirkung. Sie ist oft leise – aber präzise. Und sie ist dann besonders wirksam, wenn sie nicht im Mittelpunkt steht, sondern Wirkung ermöglicht.

Die inneren Barrieren – Warum Autonomie vielen schwerfällt

So klar der Nutzen von Autonomie auf dem Papier auch scheint – in der Praxis fällt ihre Umsetzung oft schwer. Denn Autonomie verlangt nicht nur ein neues Führungsverhalten, sondern vor allem ein neues Vertrauen – in andere und in sich selbst. Und genau hier entstehen die unsichtbaren Barrieren, mit denen sich viele Führungskräfte im mittleren Management konfrontiert sehen.

Ein typischer Denkreflex lautet: „Wenn ich Verantwortung abgebe, verliere ich die Kontrolle.“ Dahinter steht nicht selten die Sorge, dass Aufgaben nicht im Sinne der Organisation erledigt werden, dass Qualität leidet oder dass Entscheidungen unkoordiniert getroffen werden. In besonders stark hierarchisch geprägten Strukturen ist diese Sorge kulturell tief verankert – Kontrolle galt dort lange als Zeichen von Stärke.

Auf der anderen Seite erleben auch Mitarbeitende Unsicherheit: Wer nicht gewohnt ist, Verantwortung zu übernehmen, kann Überforderung empfinden, wenn die Führungskraft plötzlich „loslässt“. Das zeigt: Autonomie lässt sich nicht verordnen. Sie braucht Wachstum, Dialog und Schutzräume, in denen neue Rollenbilder erprobt werden dürfen.

Das mittlere Management steht dabei doppelt unter Druck: Es soll Freiraum gewähren und gleichzeitig für Ergebnisse einstehen. Es wird zum Puffer zwischen Ambitionen und Realitäten, zwischen Top-down-Zielen und Bottom-up-Bedürfnissen. Das ist anspruchsvoll – und verlangt ein hohes Maß an Selbstreflexion.

Die entscheidende Frage lautet daher: Wie gut kenne ich meine eigenen Steuerungsimpulse? Wo vertraue ich wirklich – und wo kontrolliere ich aus Gewohnheit? Welche Erwartungen kommuniziere ich klar – und welche setze ich stillschweigend voraus?

Führung im Sinne moderner Autonomie heißt auch: sich selbst führen lernen, bevor andere folgen können.

Erfolgsbeispiele – Wenn Autonomie zum Erfolgsfaktor wird.

Theorie ist das eine – doch wie lässt sich moderne Führung mit mehr Autonomie konkret umsetzen? Drei anonymisierte Fallbeispiele aus der IT- und Servicepraxis zeigen, wie gezielt gestaltete Verantwortungskonzepte die Zusammenarbeit stärken und gleichzeitig Produktivität, Kundenzufriedenheit und Führungsqualität verbessern.

Fall 1: Projektverantwortung statt Projektleitung – IT-Dienstleister

Ein mittelgroßer IT-Dienstleister mit Fokus auf Systemintegration und Cloudlösungen stand vor der Herausforderung, mehrere parallele Kundenprojekte effizient zu steuern. Klassische Projektleitung führte häufig zu Überlastung einzelner Schlüsselpersonen und verlangsamte Entscheidungen.

Das Unternehmen entschied sich, die Verantwortung neu zu strukturieren: Jedes Projektteam bestimmte intern eine sogenannte „Verantwortungsgruppe“, die eigenständig priorisierte, Kundentermine koordinierte und technische Entscheidungen traf. Die vormalige Projektleitung übernahm die Rolle eines „Sicherers“: Sie war zuständig für Eskalationsschutz, Ressourcenfreigabe und strategische Rückkopplung an das Management.

Ergebnis: Entscheidungen wurden schneller getroffen, Verantwortlichkeiten klarer wahrgenommen und die interne Abstimmung effizienter. Die Kundenzufriedenheit blieb stabil – trotz gestiegener Projektanzahl – und das Team zeigte eine deutlich höhere Identifikation mit den Projektergebnissen.

Fall 2: Servicesteuerung im Wechselmodell – IT-Supportzentrum

Ein zentraler IT-Servicebereich in einem Konzern (1st- und 2nd-Level-Support) testete ein alternatives Steuerungsmodell. Für sechs Wochen trat die disziplinarische Führungskraft bewusst in den Hintergrund. Die operative Steuerung – inkl. Ticketsystem, Eskalationsmanagement und Teamkommunikation – wurde auf drei erfahrene Mitarbeitende verteilt.

Diese übernahmen jeweils Schwerpunkte: technische Klärfälle, interne Kommunikation und Ressourcenplanung. Unterstützt wurde das Experiment durch regelmäßige Team-Reflexionen sowie einen externen Coach.

Erkenntnis: Die Selbststeuerung funktionierte besser als erwartet – insbesondere, weil Zuständigkeiten gemeinsam mit dem Team definiert wurden. Das Vertrauen der Führungskraft und die offene Kommunikation führten dazu, dass mehrere Elemente – etwa die rotierende Wochenverantwortung und transparente Fallverteilung – dauerhaft etabliert wurden.

Zusatznutzen: Die Führungskraft gewann neue Perspektiven auf Teamdynamik und individuelle Stärken und konnte anschließend gezielter coachen und entlasten.

Fall 3: Autonomie im Kundenservice – internationale Serviceorganisation

Ein internationales Serviceunternehmen mit Standorten in Europa und Asien testete in zwei Service-Teams eine neue Form der Schichtorganisation mit Selbststeuerung. Hintergrund: Die Teams arbeiteten über Zeitzonen hinweg, mit unterschiedlichem Kundenaufkommen und variierenden Ticketaufgaben.

Anstatt feste Zeitfenster und Pausen über die zentrale Planung vorzugeben, wurden die Teams ermutigt, ihre Arbeitsorganisation selbst zu gestalten – inkl. Priorisierung von Servicefällen, interne Übergaben und Tagesverantwortung. Ein rotierendes „Shift Lead“-Modell wurde eingeführt, in dem jede Woche ein anderer Mitarbeitender die Koordination übernahm.

Ergebnis: Bereits nach zwei Monaten zeigte sich eine verbesserte Reaktionsgeschwindigkeit bei Ticketbearbeitung, eine geringere Anzahl interner Rückfragen und eine deutlich höhere Eigenverantwortung. Die Schichtleiterrolle wurde zunehmend als Lernchance wahrgenommen – insbesondere von Nachwuchskräften. Auch das Management gewann an Vertrauen in die Selbststeuerungskompetenz der Teams.

Ausblick – Führung ohne Krone als Einladung zur Entwicklung

Der Ruf nach mehr Autonomie ist kein kurzfristiger Trend. Er spiegelt eine tieferliegende Entwicklung: Menschen möchten Verantwortung übernehmen – aber nicht bevormundet werden. Sie suchen nach Sinn, Wirksamkeit und echter Teilhabe. Und sie fordern Führung, die nicht anordnet, sondern ermöglicht.

Das stellt besonders das mittlere Management vor eine anspruchsvolle Aufgabe. Zwischen den Erwartungen der Geschäftsleitung und den Bedürfnissen der Mitarbeitenden sind Führungskräfte gefordert, Brücken zu bauen, Spannungen zu moderieren und gleichzeitig Orientierung zu geben.

Dabei ist klar: Führung bleibt wichtig – vielleicht sogar wichtiger als je zuvor. Aber sie verändert ihren Charakter. Sie wird leiser, verteilter, achtsamer. Und sie gewinnt an strategischer Relevanz genau dort, wo sie Haltung zeigt – statt Status.

Führung ohne Krone bedeutet nicht Führung ohne Richtung. Es bedeutet, Führung neu zu denken: als Einladung zur Mitgestaltung, als Gestaltung von Kontexten, als Ermöglichung von Verantwortung.

Dafür braucht es kein perfektes Modell, sondern den Mut zur Entwicklung. Den Mut, loszulassen, ohne aufzugeben. Den Mut, zu vertrauen, ohne sich zu entziehen. Und den Mut, als Führungskraft nicht alles selbst zu tragen – sondern gemeinsam zu tragen lassen.

Wer diesen Weg geht, schafft nicht nur eine moderne Arbeitskultur, sondern stärkt die Zukunftsfähigkeit der Organisation. Denn in einer Welt, die sich ständig verändert, ist Führung keine feste Position mehr – sondern ein beweglicher Beitrag zur gemeinsamen Wirkung.

Über die Autor:innen

Andreas Dolle und Ulrike Dolle begleiten als Change-Experten, Speaker und Organisationsentwickler Unternehmen in Transformationsprozessen – besonders an den Schnittstellen von Führung, Vertrieb und moderner Arbeitskultur. Ihr Fokus liegt auf der Verbindung von strategischer Klarheit, systemischer Wirksamkeit und lernender Organisation. Sie sind Autor:innen des Fachbuchs „Megatrend New Work – Chancen hybrider Arbeitskultur“.

Andreas Dolle spricht regelmäßig zu den Themen Selbstverantwortung und Führung in seinem Impulsvortrag: „Sinnstürme und Autonomieakrobatik“.

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