Lasst das Kind nicht in den Brunnen fallen! Gezieltes Krisenmanagement kann man lernen.
Die Liste der Institutionen und Unternehmen, die aufgrund ihres Fehlverhaltens in der Öffentlichkeit angeprangert werden, wird täglich länger. Immer häufiger wehen Shitstorms um uns herum und nicht selten stolpern Führungskräfte über vermeintliche Lappalien. Auslöser für die öffentlich gemachten Krisen ist zumeist eine fehlende Struktur in der Krisenkommunikation. Manche Unternehmen bewegen sich aber auch sehenden Auges in eine Kommunikationskrise. Dabei gibt es Wege und Mittel, der negativen Außendarstellung vorzubeugen. Dazu zählen die krisenfeste Kommunikationskette und eine absolute Kundenorientierung – gemessen mit dem Net Promoter Score.
Erst A, dann B, dann C, dann der erfolgreiche Projektabschluss
Die unternehmerische Maßnahme klingt überschaubar: Um Personalkosten einzusparen, sollten die Öffnungszeiten der Filialen eines Geldinstitutes „den Wünschen der Kunden angepasst werden“. Geplant, getan: In ganzseitigen Zeitungsanzeigen wurde für die neuen Öffnungszeiten geworben. Es dauerte einen Tag, da taten die Bankkunden in zahlreichen Leserbriefen im selben Medium ihren Unmut kund. Da war gehörig viel schief gelaufen. Doch was hätte man besser machen können, ja müssen?
Ein kommunikationsorientiertes Projektmanagement hätte sicher helfen können, die Kunden von Anfang an „mitzunehmen“.
Die krisenfeste Kommunikationskette fängt ganz vorn an: Wer sich als Dienstleister versteht, der die Kunden in den Mittelpunkt stellt, sollte dies auch tun. Eine breit kommunizierte Befragung ist dabei sicher ein einfaches und wirkungsvolles Mittel. Eine Kampagne unter dem Segel „Wie hätten Sie es denn gerne?“ erzielt allgemein ein facettenreiches Ergebnis. Dieses liefert einem zu einem späteren Zeitpunkt die ideale Begründung für das Tun: Die Aussage „Wir haben uns an der Mehrheit der Kunden orientiert“ ist dann mehr, als nur eine Ausrede.
Externe Begleitung schärft den Blick
Doch auch intern müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Hier helfen mehrere Maßnahmen, die am besten extern begleitet werden – auch um die Akzeptanz des Geplanten zu erhöhen. Die Aufnahme des Ist-Zustands, der Blick auf den bestehenden Schichtplan und die Kommunikation der aktuellen Öffnungszeiten wären in unserem Beispiel zu betrachten. Unbedingt folgen muss eine Chancen- und Risiken-Analyse. Was passiert, wenn an der einen oder anderen Stellschraube gedreht wird, wie verläuft die Entwicklung im Unternehmen, wenn man nichts ändert: Hier müssen alle etwaigen Folgen betrachtet werden. Ein bewährtes Mittel sind auch in diesem Zusammenhang Befragungen. Und zwar von Kunden und Mitarbeitenden gleichermaßen. Denn es nützt gar nichts, unterschiedliche Interessengruppen gegeneinander auszuspielen. Man stelle sich vor, der Kunde wünsche eine Rund-um-die-Uhr-Öffnung einer zentralen Filiale. Eben dort bestehen aber gar nicht die personellen und strukturellen Voraussetzungen. Dann kann die strikte Umsetzung des Kundenwunsches schnell großen Unmut in der Belegschaft auslösen. Die Personalplanung im Rahmen von Umstrukturierungen ist ohnehin eine der anspruchsvollsten Aufgaben, die externe Unterstützung unabdingbar machen. Auch hier gilt es wieder, die Akzeptanz zu erhöhen.
Sind im nächsten Schritt alle Voraussetzungen erfüllt, kann die Änderung umgesetzt werden. Parallel muss sie über alle medialen Kanäle kommuniziert werden, um die größtmögliche positive Wirkung zu erzielen. Intern könnte man ein Dankeschön-Event für die Mitarbeitenden durchführen. Und die Kunden freuen sich über ein Dankeschön-Gewinnspiel.
Einige Wochen nach dem Start der Umsetzung ist der kritische Blick nötig. Muss gegebenenfalls nachjustiert werden, gibt es große oder kleine Probleme. Dann müssen alle Beteiligten reagieren und das Projekt quasi abrunden.
In Amerika weit verbreitet, in Deutschland noch selten genutzt: Der NPS
Die unbedingte Kundenzufriedenheit lässt sich auf verschiedene Weise messen. In Amerika wurde seinerzeit der so genannte Net Promoters Score (NPS) entwickelt. Auch hierbei handelt es sich um eine Kundenbefragung, die an Einfachheit aber kaum zu überbieten ist. Statt der oder dem zu Befragenden ihre oder seine wertvolle Zeit zu rauben, indem sie oder er mit einer Vielzahl an Fragen konfrontiert wird, begnügt man sich mit nur einer einzigen Frage. Die Antwort erfolgt als Bewertung auf einer Skala von 0 bis 10. Ein Beispiel: Eine Woche nach dem Besuch einer Autowerkstatt wird der Kunde angerufen. Die gestellte Frage: „Auf einer Skala von 0 bis 10, wenn 0 „auf gar keinen Fall“ und 10 „Oh ja, auf jeden Fall“ bedeutet, würden Sie die Leistung unserer Autowerkstatt an einen Freund, Bekannten oder Kollegen weiterempfehlen?“ Eine Antwort zwischen 0 und 6 deutet der NPS als Unzufriedenheit. 7 und 8 belegen eine normale Zufriedenheit und erst eine formulierte 9 und 10 drücken Begeisterung aus. Untersuchungen zeigen, dass nahezu 80 Prozent der Begeisterten die Leistung oder das Unternehmen früher oder später weiter empfehlen.
Und so wird der NPS in vielen Unternehmen als Werkzeug eingesetzt, mit der die Kundenzufriedenheit unmittelbar gemessen wird.
Wenn vorab das Ziel formuliert wird, auf einen Bewertungsdurchschnitt jenseits der 8 zu kommen, ist diese Richtschnur unternehmensübergreifend gültig. Schließlich misst der NPS nicht, ob – um bei unserem Werkstattbeispiel zu bleiben – der Kontakt mit der Auftragsannahme zur Bewertung geführt hat oder der Preis für die geleistete Arbeit.
Alle ziehen an einem Strang – und das schafft Anreize, die Leistung ohne den andauernden Überwachungsdruck zu steigern. Mittlerweile gibt es sogar Software, die es ermöglicht, den NPS zeitnah zu kommunizieren. Dies ermöglicht wunderbare Vergleiche: „Vor einem Jahr lagen wir noch bei 3,8, jetzt sind wir bei 5,5.“ Eine bessere Motivation gibt es kaum. Allerdings scheuen sich noch viele Unternehmen in Deutschland, das NPS zu nutzen. Zumeist wird argumentiert, dass man mit einer einzigen Frage kaum ein genaues Bild der Stärken und Schwächen erhalten könne. In der Tat liegt hier ein Nachteil dieser Art der Messung der Kundenzufriedenheit. Aber zeitgleich stellt sich die Frage: Müssen wir denn immer und bis ins Detail wissen, was die Kunden stört? Ist nicht die unternehmensübergreifende Motivationssteigerung viel wertvoller als die ständige Angst, einen Fehler zu machen?
Hoher Nutzen, geringer Aufwand
Unternehmen, die in Deutschland bereits auf NPS setzen – darunter Automobilkonzerne und Banken – sprechen von einem hohen Nutzen bei geringem Aufwand. Und so ist davon auszugehen, dass dieses Mittel auch bei uns über kurz oder lang seinen Siegeszug antreten wird.
Spannend wird es, wenn man beide bisher thematisierten Maßnahmen miteinander verknüpft. Das macht durchaus Sinn, denn die krisenfeste Kommunikationskette und der NPS ergänzen sich – richtig miteinander kombiniert – in optimaler Weise.
Krisenfeste Kommunikationskette und NPS ergänzen sich
Denken wir an unser Beispiel mit der Anpassung der Öffnungszeiten der Bankfilialen. Schon vor dem Projektstart hätte der NPS ein verifizierbares Stimmungsbild liefern können: „Würden Sie unsere Öffnungszeiten, auf einer Skala von 0 bis 10, an einen Freund, Bekannten oder Kollegen weiterempfehlen?“ als einfache Frage reicht aus. Das Ergebnis hätte den Beleg liefern können, dass hier Handlungsbedarf besteht oder dass es sich um ein sensibles Thema handelt. In der Tat gibt es dabei ein Risiko: Fällt das Votum beim NPS sehr positiv aus, fehlt schon fast die Handhabe, das Thema weiter zu verfolgen. Wenn die Zeiten aber in jedem Fall angepasst werden sollen, um etwa Personalkosten zu sparen, ist ein Ergebnis, dass die Kommunikation hier bestens geplant und höchst sensibel vorgegangen werden muss, um die Kunden nicht zu verprellen.
Ist die krisenfeste Kommunikationskette eingehalten worden, sollte der NPS nach Abschluss der Veränderung nicht maßgeblich niedriger liegen, als vor der Umsetzung.
Tipps zur Krisenkommunikation
1. Vorbeugung ist das beste Krisenmanagement – Frühwarnsysteme erkennen Probleme, bevor sie zu Krisen werden. Das ist der NPS ein sehr geeignetes Werkzeug. Nutzen Sie auch „normale Zeiten“, um sich auf eine mögliche Krise vorzubereiten: Wer gehört zum Krisenstab? Wer ist sein Sprecher?
2. Nehmen Sie sich Zeit für eine Szenario Analyse. Krisen entstehen aus häufig aus bekannten Situationen, in ihrer Dringlichkeit und Wirkung allerdings nicht richtig bewertet worden sind.
3. Beginnen Sie direkt am ersten Tag ein „Tagebuch“ anzulegen in dem Sie die wichtigsten Fragen und Antworten, die Sie gegeben haben, eintragen. Halten Sie dieses Dokument aktuell, damit Sie eine lückenlose Dokumentation haben.
4. Kurzfristige Schadensbegrenzung ist nur oberflächliche Schadenskaschierung. Erfolgreiche Krisenkommunikation setzt auf langfristige und nachhaltige Lösungen und Vertrauensbildung.
5. Setzen Sie auf Aktion. Das schafft Meinungsvorsprung. Durch Reaktion bringen Sie sich in den Zwang der Rechtfertigung.
6. Krisen-Kommunikation ist Chefsache, aber auch jeder einzelne Mitarbeiter stellt sich in der Öffentlichkeit dar. Ein Unternehmen muss klare, eindeutige Botschaften formulieren. Informieren Sie Ihre Mitarbeiter sofort und vereinbaren Sie, was in der Öffentlichkeit wie gesagt werden darf. Das gilt auch besonders für die Mitarbeiter, die auf die Statements in den Social Media reagieren sollen.
7. Lügen Sie niemals und vertuschen Sie nicht, denn es kommt alles ans Tageslicht. Selbstkritische Analyse und Verbesserungen schaffen neues Vertrauen.
Richten Sie einen Nachrichtenraum ein, in dem alle Informationen zusammen laufen. Sie können ihn schon zu Projektbeginn einrichten, damit er nur noch in der Krise freigeschaltet werden muss.
8. Schaffen Sie zur Presse konstruktive Beziehung und schaffen sie durch eine offene Informationspolitik Glaubwürdigkeit. Entscheidenden Einfluss auf den Ausgang einer Krise haben oft Journalisten. Setzen Sie Grenzen indem Sie festlegen, was für den Fall von Bedeutung ist und was nicht.
9. Lassen Sie sich nicht auf kämpferische Spielchen ein. Eine vorher durchgeführte Freund-Feind-Analyse kann sehr hilfreich sein. Dadurch können die Interessen der unterschiedlichen Konfliktparteien eingeschätzt werden und darauf reagiert werden.
Autorin: Ulrike Dolle